Image Image Image Image Image Image Image Image Image Image
Ma vasárnap van, 2024. május 19. Az év 140. napja, az időszámításunk kezdete óta eltelt 739422. nap.
Lapozzon a lap tetejére

Lap tetejére

Gulasch der Geschichte – Péter Esterházys wilde und verwegene Jagd durch Ungarns Seele

Gulasch der Geschichte – Péter Esterházys wilde und verwegene Jagd durch Ungarns Seele
Infovilág

Peter Esterházy.Esterházy erzählt und fabuliert wie kein anderer, mit einem Wissen wie von mindestens zehn Archivaren der Széchenyi-Nationalbibliothek und mit der ihm eigenen aristokratischen Eleganz. Diesmal ist es eine "einfache Geschichte" von "hundert Seiten", wie es im Untertitel heißt, "Die Mantel-und-Degen-Version" eines Romans, wie man ihn vom Meister der Abschweifung kennt, und doch ist er ganz anders. Sex and Crime zwischen Buda und Pest, zwischen Türken und Wien. Dolche, Dolmane und Damenpistolen.

Ist das überhaupt ein Roman, und was ist seine Geschichte? "Die Mantel-und-Degen-Version" friert einen Augenblick von historischer Tragweite ein. Irgendwann im 17. Jahrhundert, das aber auch verdächtig nach dem 19. und 20. ausschaut, soll es auf der ungarischen, von den Türken umstellten Burg Gedöcs große Diplomatie geben. Wir sind noch in den Zeiten der Türkenbelagerungen, wobei kaum zu sagen ist, ob gerade Krieg oder Frieden herrscht. Kuruzenlieder tönen durchs Land, und es kommt auch schon einmal zu einem Gerangel zwischen dem Erzbischof von Esztergom und einem heranstürmenden Osmanen. Ludwig der III., "Hollandus Habsburgus", der holländische Habsburger, ist schon zwischen Prag und Brünn und lenkt seine Pferde zum Anwesen des berühmten Pál Nyáry, er ist der Held des Romans, ein Meister und Magier der Völkerverständigung. Das wird ihn am Ende aber auch nicht retten.

Als seine Gegenspielerin figuriert Zsófia Pázmándi, eine Patriotin und ungarische Seelengröße. Ihr Gatte, Graf Hendrik Schweidenfeldt, treibt sein sinistres Wesen, während Nyárys Burghauptmann ein Auge auf den schwulen Koch geworfen hat. Von fern und sich an einem Kanonenrohr reibend, schaut er in die Pfannen seiner Sehnsucht. Es gibt Käse-Zucchini-Buletten. Weiters tauchen auf: Der illegitime Sohn Pázmándis, der sich als Hofgeistlicher verdingt, ein berühmter Florentiner Maler namens Lénart Vincsy und besagte Hauskatze Gottes, die allerdings schizophren ist.

Ob Gott, ob Katze oder Mensch – in Péter Esterházys Welt haben alle Identitäten mindestens zwei Seiten, was aber wiederum an keiner Stelle zu bedauern ist. Es ist eine kosmologische Vervielfachung, gegen die mancher Roman von geringerer Kunstfertigkeit schon ziemlich platt erscheinen kann. Bei Esterházy gibt es Doppel- und Triple-Spione, sie beobachten das Geschehen, verlieren dabei aber mitunter aus dem Blick, für oder gegen wen sie eigentlich spionieren, außerdem schreiben sie Berichte von betrüblicher Faktenarmut. Dafür darf der Autor selbst luxurieren: Er treibt ein Spiel mit den Tatsachen und Figuren, und das beginnt schon bei Herrn Nyáry. Ein solcher ist historisch allenfalls als Revolutionär des 19. Jahrhunderts bekannt und hat für seine Verdienste ein kleines Gässchen im Zentrum Budapests bekommen.

Wie gewohnt ist die Geschichte bei Péter Esterházy ein dehnbarer Begriff. Der Roman spurtet durch die Jahrhunderte, so ungefähr von Christi Geburt bis John Lennon (der seinen Song "Girl" bekanntlich im Pressburg des 17. Jahrhunderts geschrieben hat). Das Synchrone des Asynchronen ist sein Prinzip, und die Anekdoten sind seine Bausteine. In ihrer aberwitzigen Auftürmung ergeben sie ein Gebilde von triumphaler Unübersichtlichkeit. Hat der mit dem Bau einer Bosporus-Brücke beauftragte Michelangelo in der Küche des Sultans Beylerbey Hassan tatsächlich nach mehr Eschenpfeffer für das Krebsragout verlangt, wie die rumänische Forscherin und Umberto-Eco-Schülerin Amica Bodora behauptet? Und ist er deshalb als "Genius der April-Grünnuss" in die Geschichte eingegangen?

In Wahrheit nein: Die Stelle ist ein Selbstzitat aus Péter Esterházys letztem Roman "Esti", der sich wiederum auf einen Roman des großen ungarischen Schriftstellers Deszö Kosztolányi bezieht. So viel Intertextualität muss sein. Und in Wien-Floridsdorf arbeitet der famose Kutschenmacher Christoph Ransmayr, "ein Kutschengenie", das den desperaten Durchreisenden Pál Nyáry einmal darüber aufklärt, dass die Fahrwerksabstimmung seines Gefährts keineswegs zu weich ist, sondern dass sich das wattige Gefühl einer banalen Ursache verdankt: dem Wiener Schlamm. Natürlich ist die Namensgleichheit mit dem österreichischen Schriftsteller zufällig, und wer auch immer bei Esterházy herbeizitiert wird, es geschieht zur höheren Ehre eines Schreibens, in dem der Autor auch nur eine Durchgangsstation ist. Breit ist der Strom, den Esterházys Geschichte aufnimmt, im Schwemmland ihrer zahlreichen Fußnoten sammelt sich absurdestes Bildungsgut, und es gibt eine poetologische Debatte darüber, wer dieser Péter Esterházy alias P. E. eigentlich ist.

Seine Väter sind viele. Fast jeder, der im Roman auftaucht, kommt dafür infrage, und das ist auch schlüssig gedacht. So wie der Autor seine Figuren erfindet, erfinden auch diese ihn jedes Mal neu. Péter Esterházy schreibt in einer Art hybrider Demut, er erweist seinen Vorbildern die Reverenz, und man kann nicht übersehen, dass es sich bei diesem virtuosen Humorstück von einem Roman auch um eine Art Familienbildnis handelt: um eine ungarische Nationalanthropologie.

Pál Nyáry, der Held des Romans, ist ein Meister (oder Magier) der Diplomatie, der sich mit dem Wiener habsburgischen Hof ebenso gut versteht, wie er die Untiefen der ungarischen Nation auszuloten weiß. Oder das, was Péter Esterházy im Roman aus ihnen macht. "Die Mantel-und-Degen-Version" ist eine Landeskunde, in der alle Zeichen auf Untergang stehen und wo vor allem der notorische Nationalismus sein Fett wegkriegt. "Ungar sein ist schwer, sagen – jauchzen und krächzen – die Ungarn, und auch das, dieses ständige Herbeten, erschwert das kühne und stolze Leben. Vielleicht erschreckt sie lediglich die eigene Leichtigkeit, und deshalb laden sie die Gewichte auf sich, zuallererst die närrische, von ihnen selbst gesponnene Schwere der Wörter." Harsch ist das Urteil im Roman: "Das ist die Geschichte der Ungarn, Nichtse setzen sich zu Etwassen zusammen, und Wäres schmieden die weinerliche Erinnerung zu Ists. Der Höhepunkt ist das Ausbleiben des Höhepunkts."

Péter Esterházys Ausdeutung der ungarischen Geschichte ist ein literarisch-ironisches Trompe-l'œil, ein Scheingemälde aus chauvinistischen Selbstzuschreibungen und historischen Behauptungen, andere Gefühlslagen inklusive. Schließlich sind die Ungarn "Fürsten des Augenblicks". Es geht im Roman um "Schlecken, Naschen, Gieren, kurzum Leckermäulerei", und die Gewürznote um das magische Dreieck "nichteuklidischer Weiber". Vielleicht ist das die Tür, die hinausführt aus der Misere der Geschichte. Eine Gegenmaßnahme zur ungarischen Melancholie, die auch von der großartigen Esterházy-Übersetzerin Heike Flemming nach Kräften unterstützt wird. Die pralle Sinnlichkeit ihrer Sprache steht im vollkommenen Einklang mit der Moral von Esterházys Roman: Leidenschaft, nicht Pathos!

Durch Péter Esterházys Geschichte geht auch ein Imperativ. Mit einem Diamantring werden aufs eisblumenbeschlagene Fenster der Kutsche, die den Habsburg-Vetter Ludwig III. von Prag gen Süden bringt, die Worte graviert: Sich freuen! Immer wieder tauchen sie im Roman auf. Dass dessen gewaltsames und tragisches Ende allerdings ein flagranter Widerspruch zur Absicht ist, steht auf einem anderen Blatt. Nämlich auf der letzten Seite. Die findet sich in Esterházys alle Konventionen durchschüttelnden Roman auf Seite 111 von 238.

Péter Esterházy: Die Mantel-und-Degen-Version. 

A. d. Ungarischen v. Heike Flemming. Hanser Berlin. 240 S., 19,90 €.

Címkék